Monday, October 13, 2008

Die lieben Kleinen...

Selten habe ich über ein Buch mit so vielen Kollegen, Bekannten und Freunden gesprochen. Bevor ich es noch zuende gelesen hatte, dachte ich, dass Michael Winterhoff wohl vermutlich - leider - Recht hat.
Der Titel "Warum unsere Kinder Tyrannen werden" ist natürlich reißerisch, aber man muss nicht als Lehrer tätig sein, um von Zeit zu Zeit unschönen Kinderszenen in Supermarkt, Bekanntenkreis oder sonstwo zu begegnen. Bei vielen der Fallbeispiele spürte ich mich innerlich nicken, klar, habe ich auch schon oft gesehen. Und mit oft meine ich oft.
Michael Winterhoff spricht von Störungen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, der Lernbereitschaft und von uns als Respektlosigkeit wahrgenommenem Verhalten.
Die Ursache für diese verschiedenen Auffälligkeiten: Diese Kinder haben nicht die dafür notwendige psychische Reife entwickeln können.
Die Gründe dafür liegen in der Beziehung zu Eltern und anderen an der Erziehung beteiligten Personen, sprich Großeltern, Erzieher im Kindergarten, Lehrer, usw. Diese Beziehungen sind nicht wie früher hierarchisch geprägt - Erwachsener <-> Kind - wobei der Erwachsene dabei Grenzen aufzeigt, sich vor allem selbst klar abgrenzt und zwar auch als jemand, der mehr Rechte, mehr Wissen und dadurch auch Entscheidungsgewalt hat.
Statt dessen haben wir partnerschaftliche, projizierende und symbiotische Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern (für genauere Begriffserklärungen, Zusammenfassungen: siehe Linksammlung). Gerade die erstere ist dabei weit verbreitet und wir sehen Beispiele für partnerschaftlichen Umgang mit Kindern täglich, ja, ich habe es sogar in der Lehrerausbildung deutlich beigebracht bekommen (naja, *deutlich* habe ich da eigentlich nichts beigebracht bekommen, aber das ist ja ein anderes Thema...). Mit Kindern auf Augenhöhe sein, ihnen Entscheidungen zu überlassen, sie frei entscheiden zu lassen: Lern ich dies, lern ich das, mach ich dies, mach ich das.... Nicht so extrem vielleicht, aber wenn Kinder selbst immer erfahren, dass sie frei entscheiden dürfen, Dinge nur nach dem Lustprinzip tun, gleichzeitig aber keine Frustationstoleranz erlernen konnten - wen wundert es dann, wenn diese in der Schule keinen Bock aufs Lernen, aufs Stillsein und Konzentrieren, auf Sich-Mühe-Geben haben? Es gibt ja keinen Grund dafür!
Leider hört Michael Winterhoff da auf, wo es für mich als Pädagogin interessant werden würde. Er maßt sich nicht an, aus seinen Überlegungen heraus neue didaktische Modellle und einzig wahre Lösungen zu basteln. Im Gegenteil: Man steht am Ende da mit einer neuen Blickweise auf die alltäglichen Probleme mit den auffälligen Kindern, aber man ist noch ratlos, was man nun mit der Erkenntnis anfangen soll. Aber ich finde die neue Blickweise bereits jetzt schon hilfreicher als das häufige Lamentieren und Verzweifeln über die manchmal wirklich dramatischen und vor allem im Arbeitsalltag anstrengenden Situationen.
Michael Winterhoff, Warum unsere Kinder Tyrannen werden Oder: Die Abschaffung der Kindheit. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008.

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