Saturday, October 31, 2009

Erich Fried: Klage um Picasso



Pablo Picasso ist tot und hat Spanien nicht wieder betreten.
Hippies aus USA machen dort billigen Urlaub und sagen:
"Mit Politik haben wir nichts zu schaffen.
Freiheit ist dort, wo wir unsere Füße hinsetzen können."

Picasso hat gesagt: "Solang der Faschismus im Land ist,
setze ich keinen Fuß mehr in meine Heimat."
Er ist tot, der lebendigste Proteus der tausend Gestalten!
Und Francos Mumie lebt noch und hebt noch den Arm.

Der Leitartikel im "Guardian" in London erwähnt,
Picasso sei Kommunist und für die klassenlose Gesellschaft gewesen,
und er erklärt das im rühmenden Nachruf
nachsichtig mit den Worten: "Er war zweifelsohne naiv."

Zweifelsohne naiv wie sein Guernica-Bild. -
Und zweifelsohne naiv halten Mütter noch immer
ihre ermordeten Kinder im Arm, in Kambodscha
und in den Flüchtlingslagern der vertriebenen Palästinenser.

Zweifelsohne naiv brüllen noch immer die Ochsen
und krepieren noch immer Pferde, wo Bomben fallen und Napalm,
und zweifelsohne naiv verstand Picasso das Leben,
das er aufstehen ließ in tausend Spiegelfacetten,

In zerweinten Gesichtern und in verrenkten Leibern,
in Mensch und Tier und lebendigen Fabelwesen,
in Krampf und Erstarren, in Fülle und Kampf und Zeugung.
Proteus ist tot, und Guernica stirbt noch und lebt noch immer.

Gedicht aus: Erich Fried, Einbruch der Wirklichkeit, 1991. In: Gesammelte Werke. Gedichte 3. Wagenbach, Berlin 1998.
Bild: Pablo Picasso, Guernica. 1937.

Owly

Cute.

Friday, October 30, 2009

Flix: Da war mal was

"Da war mal was" ist eine Sammelausgabe der kleinen Comic-Geschichten, die Flix (alias Felix Görmann) seit einiger Zeit im Berliner Tagespiegel veröffentlicht. Das Thema sind Erinnerungen veschiedener Personen an die Zeit vor und nach der Mauer, BRD- und DDR-Erfahrungen. Dabei wird klar wie subjektiv, aber auch wie erinnernswert diese Erfahrungen sind.
Die Serie hat eine eigene Website und einen guten Eindruck gewinnt man bei diesem kleinen Trailer.

Thursday, October 29, 2009

A.J.Jacobs: Britannica und ich


Der Untertitel von A.J.Jacobs' Buch lautet: Von einem der auszog, der klügste Mensch der Welt zu werden.
Um dieses überaus hoch gesteckte Ziel zu erreichen, wäre mir alles mögliche eingefallen, vermutlich aber nicht, ein Lexikon zu lesen! Wo bitte ist der Zusammenhang von Klugheit und der schieren Anhäufung von größtenteils unnützem Wissen?
Der Autor erzählt von seinen Erlebnissen während des Lesens der Britannica und den Effekt, den es auf ihn, seine Weltsicht, die Sicht der Welt (bzw. seiner Mitmenschen) auf ihn und seine Selbstreflexion hat. Nicht uninteressant, zumal gespickt mit einigen obskuren Referenzen zu seltsamen Britannica-Artikeln, aber davon wird wohl - wie er selbst einsieht - nicht viel hängenbleiben. Zum Gewinn von "Wer wird Millionär?" reicht es nicht und am Ende des Buches scheint die nahende Geburt seines ersten Kindes auch wichtiger als all sein Bestreben, klug zu werden. Kurzweilig, aber keine notwendige Lektüre.
PS.: Einige von A.J.Jacobs' anderen Projekten scheinen allerdings noch skuriller zu sein...

A.J.Jacobs: Britannica und ich. List, Berlin 2008.

Paul Auster - Reisen im Skriptorium

Auf einer Website über den Autor fand ich folgendes Zitat:
"Writing is no longer an act of free will for me, it's a matter of survival."
Ob darunter manchmal die Qualität des Geschriebenen zu leiden beginnt?

Reisen im Skriptorium
ist ein durch und durch verwirrendes Buch, der Inhalt schwer wiederzugeben: Ein alter Mann sitzt in einem abgeschlossenen Zimmer und er kann sich an kaum etwas erinnern. Weder wer er ist, was er getan hat, wo er ist und noch nicht einmal genau, wie die Dinge heißen, die ihn umgeben, weswegen sie Zettel wie "Lampe" oder "Bett" tragen. Und dann ist da noch ein Manuskript, in dem er zu lesen beginnt, und einige merkwürdige Besucher, aus deren Äußerungen er versucht Schlussfolgerungen über sich selbst zu ziehen. Themen des Buches: Der Autor, das Schreiben, das Geschriebene.

Wie alles zusammenhängt, bekommt man beim normalen Lesen nicht so recht auf die Reihe, komplexe Zusammenhänge und Fantastisches verhindern das.
Das Buch war interessant, gedanklich herausfordernd wie auch Stadt aus Glas, aber vielleicht nicht unbedingt Austers Glanzleistung. 
 
Paul Auster, Reisen im Skriptorium. Rowohlt, Reinbek 2008.

Thomas Hürlimann: Fräulein Stark

Die Geschichte wird erzählt von einem Zwölfjährigen, der den Sommer vor seinem Eintritt in die Klosterschule, bei seinem Onkel, dem Stiftsbibliothekar, verbringt. Seine Aufgabe ist es, den Besuchern der Bibliothek, Filzpantoffeln zu reichen, um den kostbaren Boden zu schonen.
Der Junge interessiert sich sehr bald nicht nur für die Bücher, sondern auch für die Besucherinnen, besonders für ihre Füße, Beine und...
Gleichzeitig erfährt er mehr über die (jüdische) Geschichte seiner Familie und über das Leben an sich von der fest im Leben stehenden Haushälterin der Onkels - Fräulein Stark.
Die Geschichte wird locker und prägnant erzählt, wenngleich sprachlich sicher nicht dem Zwölfjährigen entsprechend, aber das ist auch nicht gewollt. Thematisch gefiel mir die entstehende Liebe des Jungen zur Literatur, der Bibliothek und den Büchern, die Schilderung seines sexuellen Erwachens und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit Fräulein Stark wirkten für mich manchmal aufgesetzt, was aber wiederum wohl auch zur Erzählung gehört, da es sich teils um Scheingefechte handelte.
Ein unaufgeregtes, aber lesenswertes Buch.
Thomas Hürlimann, Fräulein Stark. Fischer, Frankfurt 2007.

Sue Townsend: Adrian Mole

Es ist schon schlimm, wenn man 13 3/4 Jahre alt ist und sich weitgehend allein durch ein durch und durch ungerechtes Leben schlagen muss!
Sue Townsend schrieb ihren ersten Adrian Mole-Roman bereits 1982, ein Bestseller in den 80er Jahren, ein weiteres der Reihe (ich glaube, das achte) soll Ende dieses Jahres erscheinen.
Es war die perfekte Urlaubslektüre: Unterhaltung vom leichten Schmunzeln über die pubertären Qualen bis hin zum lauten Auflachen über die schiere Absurdität des Geschehens.
Ebenso gibt es eine interessante, nett gemachte Website - AdrianMole.com.
Sue Townsend, The Secret Diary of Adrian Mole, aged 13 3/4. Harper Tempest, New York 2003.

McKinley - Gracie And The Atom

McKinley (mit Vornamen Christine) ist eine dieser Sängerinnen, die trotz brillianter Musikalität vermutlich nie wirklichen kommerziellen Erfolg haben werden. Zur Zeit hat sie noch nicht einmal einen wikipedia-Artikel (aber eine eigene Site), falls das in irgendeiner Hinsicht ein Kriterium für irgend etwas ist. Ich kannte schon ein früheres Album: Big Top Shop Talk ist bereits von 1999 und war durch die außergewöhnliche Stimmfarbe McKinleys und die leisen Balladen schon ein Album, das nicht langweilig wurde.
Gracie and the Atom (2008) ist die Vorabveröffentlichung von Stücken, die 2010 in einem gleichnamigen Musical enthalten sein werden (Thema: Mädchen in katholischem Internat...) Interessante und abwechslungsreiche Instrumentierung, schöne Melodien, eine immer noch faszinierende Stimme, musikalisch gut durchdacht - eine wunderbare Abwechslung im Popbrei - im Moment höre ich dieses Album täglich.
I don't get you
You won't get me
We're done here
So let me
Get away, away, away...

Skirt


...love this, too!