Saturday, February 18, 2017

Patrick Ness - Das dunkle Paradies

Nach Die Flucht, dem ersten Band der New World Serie von Patrick Ness, war das Lesen des zweiten Bandes sozusagen unvermeidlich. Da stolpern die Protagonisten dem Tode nah in das Ziel ihrer Flucht, die Stadt Haven, nur um direkt in die Fänge ihrer Feinde zu geraten - ein solcher Cliffhanger ist unerträglich.
War der Feind im ersten Band noch etwas unscharf, so ist der Bürgermeister/Präsident von Prentistown
nun überaus präsent. Er ist das personalisierte Böse, hat Macht und zunächst unverständliche Kräfte. Die große Errungenschaft Havens, den "Lärm" (den Gedankenstrom der männlichen Einwohner) durch Medikamente zu kontrollieren, setzt er ein, um die Bevölkerung zu kontrollieren und zu unterdrücken. Bald wird klar, dass seine Herrschaft eine des Terrors und der Gewalt ist. Sofort werden Viola und Todd voneinander getrennt, beide werden im Unklaren gehalten, wo der andere ist und wie es ihm geht und damit unter Druck gesetzt, zu tun, was der Bürgermeister von ihnen will.
Eine Gruppe von Frauen unter der Führung einer machtbesessenen und skrupellosen Heilerin widersetzt sich dem Bürgermeister und geht in die Rebellion und damit in eine Art Bürgerkrieg. Mit Bomben und Überfällen verbreiten sie Schrecken, gleichzeitig werden sie durch die Propaganda des Bürgermeisters als die Bedrohung dargestellt. Viola wird auf die Seite der Frauen, Todd auf die andere Seite gezogen.
Lange Strecken des Romans dienen der Schilderung des Schreckens und der Ungerechtigkeiten beider Gruppen, auch die Vereinnahmung der beiden Protagonisten durch die Lügen und die daraus resultierende Angst nimmt breiten Raum ein. Dabei legt Ness großen Wert darauf die moralischen Unzulänglichkeiten beider Systeme aufzuzeigen: Die Rebellen, die durch geschickte Manipulation Menschen für sich Risiken eingehen lassen, die Gewaltanwendung für legititm erachten, auch wenn Unschuldige dabei sterben, und deren wahre Ziele im Verborgenen bleiben, stehen auf der einen Seite. Dem gegenüber steht ein ungerechtes totalitäres System mit Arbeits-/Konzentrationslagern, einem Überwachungssystem durch Spitzel, die Unterdrückung und Misshandlung von Schwächeren, die Gehirnwäsche der Untergebenen zum blinden Gehorsam und Anwendung von Folter, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Beides erfährt der Leser abwechselnd durch die Augen von Viola und Todd in allen Grausamkeiten, aber auch mit dem Selbstzweifel und der Verzweiflung, dem System nichts entgegensetzen zu können. Beide fallen auch auf die cleveren Anführer streckenweise herein, auch wenn ihr Glaube aneinander schließlich überweigt.
Diese Schilderung der Systeme ist detailreich - aber auch langatmig. Erst auf den letzten 100 Seiten kommt wieder echte Bewegung in die Handlung, als die Protagonisten wieder aufeinander treffen. Sie besinnen sich aufeinander, werden sich des Betrugs durch die Führenden schmerzlich bewusst und versuchen den Ausbruch und müssen dafür den Kampf gegen den übermächtigen Gegner aufnehmen. Doch um die Sache zu verkomplizieren (und den Cliffhanger für Band drei zu erzeugen) tauchen neue Gegner/Verbündete auf, deren zukünftiger Einfluss auf die Zukunft unklar ist...

Das dunkle Paradies kann nicht durch eine überzeugende actionreiche Handlung überzeugen, der Schwerpunkt liegt sehr stark auf dem psychologischen Effekt totalitärer Systeme auf den Einzelnen, die Frage der Schuld wird dabei seltsam ausgeklammert und mit Hilflosigkeit, Zwängen und "jeder macht Fehler" entschuldigt, so mein subjektiver Eindruck. Hinzu kommen viele schockierende, gewaltintensive Szenen, welche die Brutalität detailreich ausschmücken, hier hätte man mit weniger Drastik auch das gleiche Ergebnis erzielen können. Es fehlen heitere, ausgleichende und vor allem positive Charaktere, die der erste Band in Form von Manchee, Wilf oder Hildy bieten konnte. Der Gesamteindruck ist sehr bedrückend und hoffnungslos, was das Lesen manchmal erschwerte. So bleibt nur die Hoffnung auf ein Happy End im dritten Band.

Patrick Ness, New World - Die Flucht. Ravensburger 2009.


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